Precht, USA vor der Wahl - Ist der Liberalismus gescheitert?

Sendezeit: 23:45 - 00:30, 22.09.2024
Genre: Gespräch
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Deutschland (2024) Gewinnt Donald Trump die Wahl, endet möglicherweise die lange liberale Tradition der USA. Darüber diskutiert Richard David Precht mit dem Politikwissenschaftler Patrick J. Deneen.
Deneen gilt als der intellektuelle Mentor von Trumps Vize J.D. Vance. Und selten standen in einem US-Wahlkampf derart konträre Gesellschaftsvorstellungen einander gegenüber. Auf dem Spiel steht das Fundament der USA: die liberale Demokratie.
In seinem Buch "Warum der Liberalismus gescheitert ist" vertritt Deneen die These, dass sich die Freiheit des Individuums in unseren liberalen Gesellschaften bis in die feinsten Verästelungen radikal entfalten konnte. Dabei blieb jedoch das Verantwortungsgefühl für das Gemeinwohl auf der Strecke. Anstatt unsere sozialen und kulturellen Werte zu schützen, streben wir immer selbstverständlicher nach ungehemmter Selbstverwirklichung und ultimativer Freiheit. All dies seien Zeichen dafür, das der Liberalismus sich "zu Tode gesiegt" habe. Für den konservativen Denker würden heute besonders die Werte traditioneller Kultur, der Familie, der Religion oder der Staatstreue vernachlässigt.
Das Paradoxe laut Deneen: Je mehr individuelle Freiheit uns möglich gemacht wird, umso mehr rufen wir nach einem regulierenden Staat, der uns Halt und Ordnung geben kann. Je mehr wir unser radikales freies Selbst leben, stehen wir dennoch den von uns geschaffenen Umständen immer ohnmächtiger gegenüber.
Richard David Precht hält dagegen: Er kenne diese kritische Perspektive eher aus dem linken politischen Lager. Dort aber spricht man von einer allgemeinen Entfremdung, für die man weniger den Liberalismus verantwortlich mache, sondern den Kapitalismus. Müsse man daher nicht eher in den wirtschaftlichen Bedingungen die Ursachen sehen als im Liberalismus?
Nicht nur Marx, sondern auch die Rechtskonservativen hätten dem Kapitalismus kritisch gegenübergestanden, erklärt Deneen. Er wünscht sich daher eine Rückbesinnung auf die urdemokratischen Kräfte, etwa aus der Zeit der amerikanischen Gründerväter. In den Townships der ersten Siedler habe es noch jenes Gleichgewicht zwischen Rechten und Pflichten, zwischen dem souveränen Selbst und der verantwortungsbewussten Gemeinschaft gegeben.
Doch in der Geschichte gibt es kein Zurück, moniert Precht. Beschwört Deneen mit Schlagworten wie Familie, Religion oder gar Nationalismus nicht Werte, die sich in unserer modernen Welt längst nicht mehr in einem rein positiven Licht darstellen lassen?

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